Generationen von Erwachsenen versuchten, Heranwachsende davor zu bewahren, sich selbst zu über- und gefährliche Situationen zu unterschätzen. In mehreren Studien in den USA entschlüsselte man nun, wie ein Teenager-Gehirn wirklich tickt. Dabei stellte man fest, dass die tollkühnen Experimente "Halbstarker" eine ganz natürliche Verhaltensweise und Teil wichtiger Lernprozesse sind.
Teenager und ihre Neigung zu riskantem Verhalten
Bei Wettspielen mit je einer jugendlichen und einer erwachsenen Probandengruppe beobachteten Psychologen, dass die jungen Mitspieler sich umso mehr engagierten, je größer das vorhergesagte Verlustrisiko war – die Erwachsenen verhielten sich genau entgegengesetzt.
Dabei verarbeiten sie Informationen auf eine andere Art als Erwachsene, und anders als erwartet. Sie schätzen Risiken sogar sehr viel höher ein als sie tatsächlich sind. Sie verbeißen sich geradezu an Details über ganz bestimmte Gefahren, aber die Konsequenzen, das wahrscheinliche Endresultat einer riskanten Situation, lassen sie offenbar völlig außer Acht.
Dabei überprüfen Heranwachsende durchaus alle logischen Möglichkeiten, benutzen dabei aber das Gehirnareal des präfrontalen Cortex. Für eine Entscheidung brauchen sie so unter Umständen zweimal so lang wie Erwachsene. Nur, um sich dann, wider aller Erwachsenenvernunft, ins Abenteuer zu stürzen. Der präfrontale Cortex ist, vereinfacht ausgedrückt, zuständig für das Kurzzeitgedächtnis. Vor allem aber verarbeitet er Sinneseindrücke, indem er sie mit bereits gespeichertem Wissen und emotionalen Bewertungen kombiniert. Gehirnexperten gehen davon aus, dass er auf dieser Basis dann der Situation jeweils angepassten Handlungen steuert. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nennt man ihn darum auch "Aufsichtführendes Aufmerksamkeitssystem".
Ganz offensichtlich arbeitet das jugendliche Gehirn mit einer großenToleranz für Ungewisses und Unbekanntes und dabei einem Blick für mögliche Belohnungen am Ende einer tollkühnen „Entdeckungsfahrt“. Doch das ist an sich nicht negativ. Denn man braucht eine Menge Akzeptanz für Unbekanntes, um sich auf fremdes Terrain zu begeben, zu lernen und neue Erfahrungen zu sammeln. Junge Menschen verfügen tatsächlich in verstärktem Masse über diese Eigenschaft.
Und während Erwachsene oft in einer unglücklichen, aber vertrauten Lebenssituation verharren, wie erfahrene Familientherapeuten immer wieder beobachten, sind Jugendliche schneller geneigt, notfalls auszubrechen und neue, womöglich bessere Wege einzuschlagen.
Im ersten Stadium aller Lernprozesse ist es wichtig, Anweisungen anzunehmen und ganz bewusst über alles nachzudenken, was erforderlich ist, um etwa eine bestimmte Tätigkeit auszuführen. Während Neulinge dabei in kleinen Schritten vorangehen müssen, haben Experten bereits optimale Abläufe in ihren Gehirnen gespeichert und automatisiert. Genau deswegen benutzt ein Teenager auch den präfrontalen Cortex für riskante Entscheidungen: Er hat noch nicht genügend Entscheidungen getroffen und Erfahrungen „gespeichert“, um auf deren Basis intuitiv und schnell reagieren zu können. Die typischen Verhaltensweisen Jugendlicher sind also durchaus normal und keineswegs ein Anzeichen für Geistesgestörtheit.
Wie es sich besser damit umgehen ließe? Zum Beispiel könnten Experimente in einem geschützten Raum unter kontrollierten Bedingungen helfen, ohne reale Risiken Erfahrungen zu sammeln. Und mit Verständnis für die geistige Verfassung Jugendlicher ist es möglicherweise leichter, sich über Gespräche den Zugang zu erhalten.