Die Versorgung von neu- und frühgeborenen Kindern umfasst mehr als nur eine medizinische Betreuung. Sie verlangt den verantwortlichen Personen vor allem die Fähigkeit der bestmöglichen Wahrnehmung und Einschätzung des Säuglings in seiner ganz individuellen Bedürftigkeit ab. Dabei stellt vor allem eine zu frühe Geburt nicht nur für das Kind selbst und seine Familie, sondern auch für die Ärzte und das Pflegepersonal eine große Herausforderung dar. Im Verlauf der letzten 20 Jahre verbesserten sich die Überlebenschancen auch sehr kleiner Frühgeborener dank neuester Medizintechnik und hochwirksamer Medikamente erheblich.
Jedoch stellt sich hier zunehmend auch die Frage nach der Lebensqualität der Kinder und der Betreuung der durch die frühe Geburt sehr belasteten Eltern. Deshalb wird inzwischen der optimalen psychosozialen Betreuung Frühgeborener und deren Eltern eine zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt. Ein ganzheitliches, am jeweiligen Kind orientiertes, entwicklungsförderndes Konzept für die Betreuung eines Säuglings ist deshalb ebenso wichtig wie eine optimale medizinische Betreuung. Besonders bei Frühgeborenen muss ein erfahrenes Neonatologie-Team bereits im Gebärsaal entscheiden, ob der Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen sinnvoll ist. Wenn Kind und Eltern frühzeitig eine umfassende Unterstützung erhalten, kommt dies der Entwicklung der Kinder in hohem Maße zugute.
Bei der Betreuung von Neu- und Frühgeborenen ist es zunächst von entscheidender Bedeutung physiologische (gesunde, normale) und pathologische (krankhafte) Zustände des Kindes zu kennen und voneinander unterscheiden zu können. Die Kinderärzte und Kinderkrankenschwestern können den Eltern mit diesem Vorwissen eine große Stütze sein und Unsicherheiten beheben.
Dabei spielt vor allem die Vermittlung von:
- normalen und pathologischen Entwicklungsvorgängen
- psychosoziale Faktoren der Entwicklung, also wann das Kind beginnt sein Umfeld wahrzunehmen
- einer entwicklungsfördernden Umgebung
- Lebensaktivität und der richtigen Ernährung
- Besonderheiten der Muttermilch und dem Stillen von Früh- und Neugeborenen
- Möglichkeiten der Stressvermeidung
Die Nachsorge und Begleitung von Neu- und Frühgeborenen ist somit nur möglich, wenn Kinderkliniken im Verbund von niedergelassenen Kinder- und Jugendärzten,
Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ), niedergelassenen Therapeuten sowie Spezialisten für
alle klinisch-somatischen Fragen eng zusammenarbeiten. So kann sowohl während des Klinikaufenthaltes, als auch danach eine lückenlose Betreuung der jungen Familie gewährleistet werden. Eltern-Selbsthilfegruppen bedeuten daneben eine wesentliche Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung dieser langjährigen Aufgabe.
Welche Rolle übernimmt der Kinderarzt und wann wird die Erstversorgung vorgenommen?
Die Erstversorgung des Kindes durch Hebamme, Geburtshelfer oder Kinderarzt erfolgt direkt nach der Geburt. Die Wahl einer Hebamme sollte von der Mutter bereits einige Zeit vor der Geburt getroffen werden. Die Hebamme begleitet die Mutter während des Klinikaufenthaltes und auch nach der Entlassung aus der Klinik und kann den Eltern bei Anlaufschwierigkeiten und Unklarheiten mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Wenn für das neugeborene Kind keine Risiken bestehen wird es nach der Geburt zusammen mit der Mutter zunächst auf die Wochenbettstation verlegt. Frühgeborene bleiben hingegen meist zunächst auf der Überwachungsstation, bis sichergestellt ist, dass das Kind gesundheitlich nicht beeinträchtigt ist. Die Erstuntersuchung (U1) findet dann im Verlauf der ersten Stunden nach der Geburt in der Klinik statt und soll kindliche Fehlbildungen und Geburtsschäden sowie Störungen der Atmung und des Kreislaufs des Neugeborenen erkennen.
In den ersten Tagen nach der Geburt leiden zudem viele Neugeborene unter Gelbsucht (Ikterus). Die Ursache dafür ist, dass die kindliche Leber die Umstellung vom fetalen auf das „normale" Blut nicht so schnell verkraftet. Es kommt deshalb zu einer Ansammlung des Blutabbauprodukts Bilirubin. Zeigt sich eine sichtbare Gelbfärbung der Haut und besonders der Bindehäute, spricht man vom Neugeborenenikterus (Neugeborenen-Gelbsucht). Den betroffenen Säuglingen wird dann im Rahmen des Klinikaufenthaltes vom behandelnden Kinderarzt regelmäßig eine geringe Menge Blut entnommen, um den Bilirubingehalt zu kontrollieren. Zudem beschleunigt ultraviolettes Licht den Abbau von Bilirubin, weshalb Säuglinge, deren Blutwerte einen bestimmten Bilirubin-Grenzwert überschreiten, in eine Art UV-Solarium kommen.
Dort werden sie mit einer lichtundurchlässigen Brille versehen und mit blau erscheinendem UV-Licht behandelt, bis sich der Blutspiegel normalisiert hat. Das zusätzliche Neugeborenen-Screening findet meist zwischen dem dritten und fünften Lebenstag des Kindes im Rahmen der U2 Untersuchung statt, und kann auch ambulant beim Kinderarzt durchgeführt werden, wenn Mutter und Kind das Krankenhaus schon verlassen haben. Auch die Wahl eines Kinderarztes sollte wenn möglich schon vor der Geburt des Kindes getroffen werden, um die ersten Wochen nach der Klinikentlassung so stressfrei wie möglich zu gestalten.
Wichtigstes Ziel einer Beratung und Begleitung durch einen niedergelassenen Kinderarzt ist, dass die Eltern nach der oft krisenhaften Zeit der Geburt und des Klinikaufenthalts wieder ihr eigenes Gleichgewicht finden und dass sie eine ihnen und dem Kind angepasste Form der Eltern-Kind-Interaktion. Kinderärzte stellen in dieser wichtigen Phase einen Begleiter dar, der den Eltern im Alltag eine wichtige Stütze sein kann.
In der vierten bis sechsten Lebenswoche nimmt der Kinderarzt außerdem bei Jungen eine Untersuchung auf die so genannte Muskeldystrophie. Dabei handelt es sich um eine Erbkrankheit, die nur Knaben betrifft. Der Nachweis erfolgt durch eine Blutprobe, wobei die Kosten für diese Untersuchung nicht von der Krankenkasse getragen werden, da sich aus der Kenntnis der Erbanlage keine entscheidende Maßnahme für das betroffene Kind ableiten lässt. Sie gibt lediglich wichtige Hinweise für eine spätere Schwangerschaft.
In der Regel übernimmt dann der Kinderarzt die Betreuung der jungen Familie in der Zeit des Säuglings- und Kleinkindalters. Er führt die Vorsorgeuntersuchungen ( U-Untersuchungen) vom Zeitpunkt der Klinikentlassung bis mindestens zum fünften Lebensjahr des Kindes durch und steht als Ansprechpartner bei sämtlichen Fragen bezüglich der Entwicklung des Kindes zur Verfügung.