Essen ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Über das Essen wird Kontakt mit anderen Menschen aufgenommen, das Baby festigt seine Bindung so zur Mutter und im späteren Leben tauschen Kinder mit anderen ihr Essen. Unser ganzes Leben lang spielt das Essen eine große gesellschaftliche Rolle.
Doch was passiert, wenn der gesellschaftliche Druck zu groß wird, wenn Jugendliche glauben, nur anerkannt zu werden, wenn sie aussehen wie Modells? Dann kann es unter Umständen tatsächlich zu Störungen kommen, die sich auf das Essverhalten auswirken. Die meisten Essstörungen sind multifaktoriell bedingt, das heißt kein Kind bekommt eine Essstörung, weil es ein Modell sieht, dahinter stecken dann noch andere Gründe, wie Unsicherheit oder fehlendes Selbstbewusstsein. Eine Essstörung kann dann Ausdruck von Protest oder Ablehnung sein. Die Kontrolle über das Essverhalten gibt den Kindern und Jugendlichen Kontrolle und Sicherheit.
Wie Eltern und andere Bezugspersonen erkennen, wann ihr Kind eine Störung hat und was sie dagegen machen können, soll hier dargelegt werden.
Bei einer Essstörung kommt es durch psychische Belastungen zu körperlichen Schäden. Das Verhalten kann zwar suchtartig sein, aber es ist keine Sucht im klassischen Sinn. Bei der „klassischen" Sucht sind Stoffe, wie zum Beispiel Nicotin dafür verantwortlich, dass eine körperliche und auch psychische Abhängigkeit ausgebildet wird.
Früher galt, dass Essstörungen eine Mädchenkrankheit sind. Heute sind es zwar immer noch hauptsächlich Mädchen, aber der Anteil an Jungen wächst stetig weiter. Die Altersgruppe mit den meisten Fällen ist in der Pubertät, aber auch jüngere Kinder können schon unter einer Störung leiden.
Essstörungen bei Kleinkindern
Bei dieser Gruppe kommt es relativ häufig zu einem gestörten Essverhalten und Appetitstörungen. Diese Störungen zeigen sich durch Verweigerung des Essens oder ablehnen, bzw. bevorzugen von bestimmten Lebensmitteln. Eine Essstörung kann sich auch in einer endlosen Hindehnung des Essvorgangs oder auf das Bestehen einer bestimmten Konsistenz, zum Beispiel Flüssignahrung, zeigen.
Bevor man an eine psychische Ursache denkt, sollte gerade bei Kleinkindern vom Kinderarzt abgeklärt werden, ob keine organische Ursache zur Verweigerung von Essen führt.
Ursachen psychischer Störungen liegen meist in der Familie. Das Verhältnis zwischen den Eltern, meist der Mutter, ist gestört. Auch Auseinandersetzungen innerhalb der Familie können zu psychischem Stress führen ,der durch eine Essstörung kompensiert wird.
Latente Essstörung
Latente Essstörung bedeutet, „verborgene" Essstörung, sie ist zwar da, aber noch nicht offensichtlich. Sie ist oft der Einstieg in eine „echte" Essstörung und tritt bei Jugendlichen und Erwachsenen auf.
Typisch für diese Form sind der Einsatz von Appetitzüglern, sowie die Verwendung von Lightprodukten, um ein vermeintliches Idealgewicht zu erreichen. Nicht selten kommen auch Abführmittel zum Einsatz. Die Jugendlichen kommen von übermäßigem Essen zu strikten Diäten und fangen an, die Kalorien ihres Essens zu zählen.
Hinweise für den Arzt und die Eltern
Hohe Gewichtsschwankungen innerhalb kurzer Zeit sowie Angst vor Übergewicht können Hinweise sein. Oft können die Jugendlichen das Essen nicht mehr entspannt genießen und haben wiederkehrende Auseinandersetzungen mit ihrem Gewicht.
Magersucht- Anorexia nervosa
Typisch für die Magersucht ist ein sehr dünner Körper. Die Personen sind sehr sensibel für Probleme anderer Menschen und können sich mit Eltern und Freunden sehr gut verbal auseinandersetzten. Allerdings fällt es ihnen sehr schwer sich mit eigenen Problemen und Gefühlen auseinander zusetzen.
Es herrscht ein fehlender Kontakt zum Körper und dessen Bedürfnissen. Stattdessen wird er eher als Feind angesehen, den es zu bekämpfen gilt. Die Kontrolle, die die Jugendlichen sich gegenüber haben, lässt sie sich stark und unabhängig fühlen.
Hinweise für den Arzt und die Eltern
Ritualisiertes Essverhalten, extrem heiß oder kalt essen, können Anzeichen sein. Manche Jugendliche essen nur noch Speisen in Breiform wie zum Beispiel Babynahrung. Insgesamt werden nur noch kalorienarme Speisen zu sich genommen, in Extremfällen wird das Essen vorgetäuscht. Oft treiben die Jugendlichen mit Magersucht extensiv Sport und versuchen möglichst viel in Bewegung zu machen, um Kalorien zu verbrennen.
Folgeschäden
Ein Arzt kann bei magersüchtigen Jugendlichen das Absinken des Stoffwechsels feststellen, anhand von einem niedrigen Puls, Blutdruck und erniedrigter Körpertemperatur. Die Betroffenen sind oft müde und frieren ständig. Es kann zu Haarausfall kommen, in extremen Fällen verändert sich die ganze Körperbehaarung. Bei Mädchen bleibt irgendwann die Menstruationsblutung aus.
Zu Osteoporose (Verminderung der Knochendichte) kommt es nach ein paar Jahren, da die Hormone nicht mehr so gebildet werden, wie in einem gesunden Körper. Seelische Folgen äussern sich in zwanghafter Kontrolle über sich und seiner Nahrung bei gleichzeitigen Schuldgefühlen, wenn etwas geschmeckt hat und der darauf folgenden Selbstbestrafung (noch weniger essen).
Ess-Brech-Sucht - Bulimia nervosa
Bei Jugendlichen, die unter Bulimie leiden, ist die Krankheit nicht so offensichtlich, wie bei der Magersucht. Sie sind meist schlank aber nicht übertrieben dünn. Diese jungen Menschen essen in der Öffentlichkeit, wenn auch nur „leichte" Gerichte. Bei Bulimie schämen sich die Betroffenen dafür, so kommt es zu heimlichen Fressatacken, wenn niemand dabei ist. Anschließend wird das unkontrolliert herunter geschlungene Essen durch selbst verursachtes Erbrechen dem Körper wieder entzogen.
Die Jugendlichen leben in ständiger Angst vor dem Essen und vor Lebensmitteln, die sie daheim haben, es kommt zu Hamsterkäufen, die dann wieder zu Fressatacken führen. Sozial ziehen sich die Jugendlichen immer weiter zurück, da sie sich vor sich selbst ekeln und sich für abnorm halten.
Hinweise für den Arzt und die Eltern
Diese Form der Erkrankung zu erkennen ist nicht besonders leicht, auch wenn Kinder und Eltern unter einem Dach leben. Hinweise können sein, dass das Kind sich sehr mit seinem Gewicht beschäftigt und versucht , kalorienarm zu essen. Es kann eventuell von den Eltern beobachtet werden, dass das Kind nach dem Essen im Bad verschwindet oder plötzlich Lebensmittel in größeren Mengen fehlen. Sollte Erbrechen nach dem Essen über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten beobachtet werden, sollten die Eltern umgehend Hilfe für das Kind von Professionellen einholen.
Folgeschäden
Bei der ärztlichen Untersuchung fällt oft auf, dass es zu Reizungen der Speiseröhre kommt, die sich wie mumpsartige Schwellungen darstellen. Der Zahnschmelz ist angegriffen und häufig finden sich auch kleinere Verletzungen an den Fingern, die zum Erbrechen benutzt werden. Eine weitere „Nebenwirkung" von Bulimie ist meist eine entzündete Magenschleimhaut, sie kommt durch die Überproduktion von Magensäure zustande.
Aufgrund des Verlustes von Kalium, Chlor und Magnesium durch das Erbrechen kann es in schlimmen Fällen zu Muskelschwäche oder sogar zu Herzrhythmusstörungen kommen. Psychisch verfallen die Jugendlichen oft in Selbsthass und Depressionen.
Binge Eating Disorder
Diese Essstörung ist die bisher am wenigsten erforschte Essstörung. Sie ist ähnlich der Bulimie, aber die Betroffenen erbrechen nicht nach ihren Fressatacken und machen danach auch keinen Sport. Oft geht diese Krankheit deswegen mit Fettleibigkeit (Adipositas) einher, aber die Jugendlichen können auch ganz normal gewichtig sein.
Auch hier liegt eine psychische Störung vor, die Betroffenen leiden unter vermindertem Selbstwertgefühl und verschließen sich gegenüber anderen Personen. Sie sind aus Scham lieber mit sich alleine und schauen gerne und viel Fern oder spielen viel Computer.
Folgeschäden
Ab einem BMI( Bodymasindex) von dreißig, normal ist von achtzehn bis vierundzwanzig, können Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftreten. Die Gelenke und die Wirbelsäule werden überbelastet und es kommt zu Schmerzen. Auch Diabetes mellitus Typ 2 (Blutzucker) kann sich über die Zeit entwickeln.
Wenn Eltern nach den voran gegangenen Informationen das Gefühl haben, dass ihr Kind unter einer Essstörung leiden könnte, sollten sie sich umgehend mit einem Kinder/Jugendarzt und einem Jugendpsychologen in Verbindung setzen. Diese können das Kind untersuchen und feststellen ob es sich tatsächlich um eine Essstörung handelt. Sollten sich die Befürchtungen bewahrheiten, sollte das Kind möglichst bald eine Therapie beginnen.
Nach der Bestätigung einer Essstörung durch einen Arzt und/oder einem Psychologen, wird den Betroffenen dann ein Therapieprogramm empfohlen. Je nach Grad der Essstörung wird entschieden, ob der Jugendliche an einer ambulanten Therapie teilnehmen kann, oder ob er sich einer stationären Therapie unterziehen muss. Bei einer ambulanten Therapie wird zwischen der normalen Psychotherapie und der Gruppentherapie unterschieden. Ein Vorteil bei der Gruppentherapie ist, dass die Jugendlichen andere Jugendliche treffen die dieselben Probleme haben. Sie können sich unter Umständen dort besser öffnen, anderen gelingt das in der Einzeltherapie besser.
Bei der stationären Therapie können die Jugendlichen viel besser kontrolliert werden. Nicht selten sind es Kliniken, die die medizinische Versorgung genauso leisten können wie die psychologische Betreuung. Oft werden die Esskranken auch zuerst in die Klinik eingewiesen und durchlaufen dann einen Stufenplan, der sie auf das Leben außerhalb der Therapie vorbereiten soll. Nach der Klinik kommt dann die Wohngemeinschaft mit anderen Patienten. Diese Gemeinschaften werden immer noch betreut. Danach kann dann der Wechsel in die ambulante Therapie erfolgen.
Zusätzlich zu den Psychotherapien werden den Jugendlichen auch andere Kurse angeboten die das Gefühl zum Körper oder das Selbstbewusstsein fördern sollen. Auf jeden Fall gelingt eine Heilung nur in Kombination mit psychologischer Betreuung, welcher Form diese ist, hängt davon ab, worauf der Patient am besten anspricht.
Letzte Aktualisierung am 19.11.2009.